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Türkische Geheimchristen im Visier

Jahrhunderte Gratwanderung zwischen Kirche und Islam

 

Foto: Prigipos Insel

Von Heinz Gstrein

Istanbul. Die jüngsten Drohungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen die kleine Schar – knapp 100 000 anstelle von über drei Millionen – der Christen, deren Vorfahren in der Türkei den Genozid in den letzten Jahre unter einem Sultan und der frühen Regierungszeit von Atatürk als verschwindende Minderheit überlebt hatten, richten darüber hinaus die Aufmerksamkeit auf jene türkischen „Geheimchristen“, die sich äußerlich zum Islam bekennen, im Verborgenen jedoch ihren Glauben und soweit es geht christliches Leben bewahren.

Auch in Deutschland bewusst wurde ihre Existenz in den 1970er und 1980er Jahren, als der spätere Osmanologe der Westmazedonischen Universität in Kozani, Konstantinos Fotiadis, in Tübingen Empirische Kulturwissenschaft studierte. Bei Feldforschungen in der Arbeiterschaft von Baden-Württemberg stieß er zunächst auf von den Inseln Imbros – der Heimat von Patriarch Bartholomaios I. – und Tenedos vertriebene Türkeigriechen, die in die „türkischen“ Gastarbeiterkontingente der Bundesrepublik geschlüpft waren. Vor allem entdeckte er jedoch zahlreiche Türkinnen und Türken aus der Schwarzmeerregion, die untereinander den „pontischen“ Dialekt  des Griechischen Sprachen, im örtlichen türkischen Kultur-, d.h. Moscheeverein organisiert waren, aber zu Hause christliche Bräuche pflegten. Ihr Entschluss nach Deutschland auszuwandern, war nicht nur von der Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten und Lebensbedingungen diktiert, sondern auch aus dem Verlangen nach mehr religiöser Freiheit zustande gekommen.

Es hat sich bei ihnen um zwei Gruppen gehandelt; Jene, die der Vertreibung aller orthodoxen Christen der Türkei – Istanbul und Umgebung ausgenommen – erst 1923 durch Übertritt zum Islam entgangen waren oder die sich schon früher äußerlich zu diesem bekannt hatten. In der Regel wurden beide Religionen nebeneinander praktiziert, ohne dass es zu einer synkretistischen Vermischung oder einer inneren Verbindung gekommen wäre. Auch machten diese Geheimchristen in Deutschland kaum von der Möglichkeit Gebrauch, sich offen zu einer orthodoxen Kirche zu bekennen. Sie setzten und setzen einfach ihre doppelbödige Existenz offen und ungehindert fort.

In der Türkei hingegen mehren sich die Fälle der Rückkehr in die ursprünglichen Kirchen. Schon immer gab es christenfreundliche Muslime, die ihnen anvertraute Kleinkinder beschnitten, mit Muslimnamen versehen und bis zur Volljährigkeit islamisch erzogen hatten. Dann aber brachten sie diese in eine christliche Umgebung und stellten sie dort mit einem Stammkapital auf die eigenen Füße. So geschehen z.B. mit Kindern eines ermordeten griechisch-orthodoxen Pfarrers, die 1943 dann der Pfarrgemeinde auf der Insel Prinkipos bei Istanbul anvertraut wurden. Dort entwickelte sich in den letzten Jahren eine Marienkirche am Goldenen Horn zur Anlaufstelle für „auftauchende“ Geheimchristen. Der inzwischen verstorbene Geistliche unterwies sie in allem Nötigen, nahm sie auch förmlich in die Kirche auf und schickte sie in andere Städte oder Länder weiter. In der Türkei ist die Abkehr vom Islam zwar nicht wie in anderen Muslimstaaten verboten. Doch setzen sich Konvertiten in ihrem Bekanntschaftskreis gesellschaftlicher Ächtung und oft sogar Gewalt aus.

Soweit die jüngere, vor bald hundert Jahren entstandene Gruppe türkischer Geheimchristen. Über die älteren von ihnen gibt die Tübinger Dissertation von Fotiadis Aufschluss: „Die Islamisierung Kleinasiens und die Kryptochristen des Pontos“ (1985). Sie finden sich seit den Anfängen des Osmanenreichs und sind zum ersten Mal ausdrücklich nach Eroberung der alten Konzilsstadt Nicäa (Isnik) durch Sultan Orhan I. 1330 erwähnt. Damals trat ein großer Teil der Bevölkerung äußerlich zum Islam über, hielt aber insgeheim am Christentum fest. 1338 und dann nochmals 1340 bestätigte ihnen der Ökumenische Patriarch Johannes Kalekas, weiter der Kirche anzugehören und des Ewigen Heils gewiss zu sein. Theologisch gerechtfertigt wurde ihre Verbindung von Moschee und Kirche mit dem Beispiel der Apostel und frühen Christen, zuerst in den Synagogen zu beten und darauf unter sich „das Brot zu brechen“.

Die Geheimchristen waren dann im ganzen Osmanischen Reich verbreitet. mit besonderem Schwerpunkt im „Pontos“, den Nordostprovinzen am Schwarzen Meer. Sie lebten zunächst einmal in christlich gebliebenen Gemeinden, oft im Einverständnis mit diesen, übten öffentliche Ämter aus oder genossen Privilegien wie den Salzhandel, der Monopol des Sultans war.  Diese Form der „funktionellen“ Kryptochristen war nicht nur bei den Griechen, sondern besonders den Albanern verbreitet. Hier wie dort nahmen die „Geheimen“ am religiösen Leben der deklarierten Christen teil.

In mehrheitlich muslimisch gewordenen Orten musste die Religionsausübung hingegen doppelt gestaltet werden. Neben geflissentlichem Moscheebesuch, Ramadanfasten und islamischen Festen stand ein auf das Nötigste beschränktes Christentum mit versteckten Bibeln und Ikonen sowie unteriridischen Gebetsräumen. Für die Feier der Eucharistie und die Spendung der Sakramente wählte und weihte das Ökumenische Patriarchat besonders geschickte und wagemutige Priester. Sie zogen als wandernde Hausierer, Viehhändler oder auch Derwische von Ort zu Ort. Seelsorgszentren waren ferner die Klöster, meist auch von den Muslimen verehrte und ausgesuchte Wallfahrtsorte. So konnten die Geheimchristen nicht auffallen, wenn sie sich unter die christlichen Pilger mischten, die Eucharistie empfingen, mitgebrachte Kinder taufen und firmen ließen. Dann wurden die Kleinen zu einer der außerhalb des Klosters aufgebauten Beschneidungsbuden gebracht und erhielten auch einen muslimischen zu dem Taufnamen. Beide wurden meist so gewählt, dass sie ähnlich klangen: Mehmet und Michalis, Meriem und Maria, Ibrahim und Abraham, Ilyaz und Ilias.

Die Jugend der Geheimchristen musste die Koranschule besuchen, am Abend lehrten die Mütter sie die Bibel und die wichtigsten Gebete. So kannten sie die heiligen Schriften beider abrahamitischer Religionen, was auch heute eine Seltenheit ist. Ein hervorragender Bibel- und Korankenner war der 1961 in Trabzon unter dem Namen Temel Efendi verstorbene Georgios Kasimidis.

Das frische Interesse an den Kryptochristen der Türkei zeigte sich auch mit der Veröffentlichung des Blogs „Die Geheimchristen: Eine bedeutende, aber zu wenig bekannte Seite unserer Kirchengeschichte“ im „Phos Phanariou“ (Licht des Phanars) vom 9. Mai. Es wird darin das gesamte, auf Wesentliches beschränkte religiöse Leben der Geheimchristen festgehalten, auch die gewagten Doppelbegräbnisse, das umso innigere Gebet für die Verstorbenen und die öffentlichen Hochzeiten in der Moschee, gefolgt von einer stillen Trauung im Kloster. Davon berichtet das pontische Volkslied: „So quäle dich nicht, Sonja mein und hab das Herz nicht schwer, Dein Mann bald wird er völlig dein, er glaubt an Christus sehr. Nach außen ist er Mustafa, doch heimlich Nikolaus, im Kloster dann um Mitternacht, wird dir der Kranz gebracht!“

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