Verhärtete Fronten in orthodoxer Ukrainedebatte
Schwachpunkt der Autokephalie die Rechte für Moskau von 1686
Von Heinz Gstrein
Istanbul/Nikosia. Nachdem am 24. Oktober auch Erzbischof Chrysostomos II. von Zypern in der Folge des alexandrinischen Patriarchen Theodoros II. und von Griechenlands Primas Hieronymos Liapis die kirchliche Gemeinschaft mit der neuen Autokephalen Orthodoxen Kirche der Ukraine aufgenommen hat, geht die interorthodoxe Auseinandersetzung um deren Herauslösung aus dem Moskauer Patriarchat verstärkt weiter. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. erhöhte am 8. November in Arnavutköy am Bosporus seinen ständigen Vertreter in Kiew, Exarch Mihail Anisenko, durch dessen Weihe zum Bischof von Komana in Kappadokien. Diesen Titel hatte zuletzt Gabriel de Vijlder geführt, der von 2003 bis 2013 in Paris Erzbischof des – 2018 aufgelösten -Exarchats der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa des Ökumenischen Patriarchats war. Als römisch-katholisches Titularbistum war Komana zuletzt dem Bamberger Weihbischof Adam Seger (1860-1935) verliehen worden. An der Weihe von Mihail Anisenko an seinem Namenstag nach dem „neuen“ orthodoxen Kirchenkalender nahm auch eine repräsentative Kiewer Kirchendelegation teil. An ihrer Spitze Metropolit Oleksandr Drabinko von Perejaslaw am Dnjepr-Stausee, einer der wenigen Bischöfe russischer Jurisdiktion, die sich der neuen ukrainischen Kirche angeschlossen haben. Er war auch neben Bartholomaios ein Mitkonsekrator von Bischof Anisenko.
In einer der Weihehandlung vorausgeschickten Ansprache verglich der Ökumenische Patriarch sein Eingreifen in der seit 1991 von orthodoxen Kirchenspaltungen erschütterten Ukraine mit dem Beistand des Guten Samariters im Gleichnis des Evangeliums. Liebevolle Fürsorge für die ukrainischen Orthodoxen sei auch sein einziger Beweggrund zur Gewährung der Autokephalie an die Kirche von Kiew gewesen. Die Unterstellung anderer Motive – so sein Zusammenspiel mit der antirussischen Politik von USA, EU und NATO – bezeichnete Bartholomaios als „Lügenpropaganda“. Er habe mit dem Moskauer Patriarchat einen langen Dialog zur Beilegung der Kirchenkrise in der Ukraine geführt. Die russische Orthodoxie verhinderte eine solche Lösung aber systematisch. So sei dem Ökumenischen Patriarchat nur mehr die Verleihung der Autokephalie von Moskau im Alleingang übrig geblieben. Diese erfolgte jedoch im klaren Rahmen seiner gesamtorthodoxen Befugnisse. Die ukrainische Autokephalie aus Konstantinopel wäre für sich gültig und nicht an die Zustimmung anderer orthodoxer Kirchen gebunden. Noch könne sie deren Einspruch aufheben bzw. ungültig machen. Nach dem 431 am Konzil von Ephesus autokephal gemachten Zypern seien alle späteren Autokephaliegewährungen – jene an Moskau inbegriffen – vom Ökumenischen Patriarchat vorgenommen und von niemand in Frage gestellt worden.
Mit dem Weiheakt in der Erzengelkirche von Arnavutköy setzte Bartholomaios I. einen weiteren Schritt zur Untermauerung seines Einflusses in der Ukraine. Zuvor hatte er Ende Oktober im Zyprischen Rundfunk (RIK) erklärt, dass die ukrainische Autokephalie eine „vollendete Tatsache“ sei. Auf der russischen Gegenseite fügte Metropolit Hilarion Alfejew seinen früheren, heftigeren Vorwürfen gegen den Erzbischof von Zypern am 31. Oktober in seiner wöchentlichen Sendung „Cerkov i Mir“ (Kirche und Welt) des Senders Rossija 24 die entgegenkommendere Meinung hinzu, Chrysostomos II. habe „voreilig und einseitig“ gehandelt. Viel schärfer äußerte sich am 3. November für die moskautreue ukrainische Kirche Erzbischof Luka Kowalenko von der alten Kosakenstadt Zaporischja über den Instant-Messager-Dienst „Telegram“ in einem Offenen Brief an den zyprischen Oberhirten. Er wirft ihm vor, mit seiner Anerkennung von „als Bischöfen verkleideten Gotteslästerern Christus zu kreuzigen“, dessen Leib die Kirche ist. Luka ruft Chrysostomos sogar zu: „Weiche Satan!“
Einen wesentlich sachlicheren Beitrag zu der sonst so heftigen Ukraine-Debatte in der Orthodoxie stellt nun von Seiten der Kiewer Theologischen Akademie die Veröffentlichung einer Dokumentensammlung dar, unter dem Titel „Die Wiedervereinigung der Metropolie von Kiew mit der Russischen Orthodoxen Kirche 1678-1686.“ Sie enthält 246 Urkunden und Schreiben, von denen 200 bisher nicht veröffentlicht waren. Sie zeigen immerhin auf, dass in der ganzen Angelegenheit die Annullierung der Konstantinopler Konzession von 1686 zugunsten des Moskauer Patriarchats nach 332 Jahren faktischer Zugehörigkeit zu diesem den schwächsten Punkt der Argumentation des Phanars bildet.
Auf Zypern selbst hat sich zu den Gegnern des Erzbischofs vom so genannten „russischen Quartett“ der Metropoliten von Limassol samt seinem Hilfsbischof, Kykkos und Tamasos inzwischen auch der Metropolit Neophytos Masouras von Morphou gesellt. Er ist wegen der türkischen Besetzung seiner Bischofsstadt nach Evrychou südlich der zyprischen Zonengenze disloziert. Er war bisher kirchenpolitisch kaum hervorgetreten, hat sich aber durch sein Eintreten für die Bedeutung „heiliger Mütter“ neben den traditionellen „Kirchenvätern“ als seltener feministischer orthodoxer Theologe einen Namen gemacht. Umstritten ist hingegen sein Standpunkt von „der dem göttlichen Willen zuwiderhandelnden Homosexualität“. In Sachen Ukraine machte er auf einer Tagung am 27. Oktober das „so genannte“ Orthodoxe Konzil von Kreta 2016 dafür verantwortlich, die Weichen falsch gestellt zu haben: Mit den Beschlüssen zugunsten des Ökumenismus in Kolymbari – dem Tagungsort des Konzils, der „Ort des Wegschwimmens„ bedeutet, sei die rechte orthodoxe Ekklesiogie „davongeschwommen“.
Die anderen zwölf zyprischen Metropoliten und Bischöfe distanzieren sich nicht von ihrem Erzbischof, haben aber weder Unterstützung für ihn bekundet noch folgen sie seinem Beispiel, Epiphanij Dumenko von Kiew beim Gottesdienst zu „kommemorieren“. Die einfachen Gläubigen halten mehrheitlich zur „Ablehnunggruppe“ im Episkopat. Das könnte Folgen haben, wenn angesichts der angegriffenen Gesundheit von Chysostomos II. die Wahl eines neuen Erzbischofs nötig werden sollte. Dieser wird auf Zypern von Klerus und Volk bestellt, wobei die Stimme eines Analphabeten genau so viel zählt wie die eines fachkundigen Theologen.
Wie es der namhafte zyprische Kirchenjournalist Aris Viketos wäre, der dem Hauptkritiker von Erzbischof Chrysostomos II., dem Metropoliten Isaias Georgakis von Tamasos vorwirft, bei seinem Protest gegen die Communio mit Kiew in Widerspruch mit orthodoxer Ekklesiologie und Kirchenrecht zu stehen. Georgakis, langjähriger Student und Doktorand an der Moskauer Geistlichen Akademie, der sich statt der auf Zypern üblichen schwarzen mit der weißen Kamilavka – einem topfartigem Hut mit Schleier – slawischer Metropoliten und seine Kirchen in Zyperns Bergland mit russischen Zwiebelkuppeln schmückt, sei nichts als ein Befehlsvollstrecker der russischen Kirchenführung- so zitiert von der griechisch-orthodoxen Nachmittagszeitung „Apogevmatini“ in Istanbul:
Wenn es auch Einwände gegen die Art und Weise gäbe, wie der Phanar die ukrainische Autokephaliefrage gehandhabt hätte, so stelle Moskaus Gegenzug mit Abbrechen der kirchlichen Gemeinschaft zur gesamten griechischen und afrikanischen Orthodoxie eine grobe Gefährdung des Zusammenhalts der orthodoxen Kirchenfamilie dar. Erzbischof Chrysostomos II. habe daher ganz richtig gehandelt, sich trotz seiner anfänglichen Bedenken nach fast zweijährigem Zuwarten und dem russischen Fehlverhalten zur Aufnahme der Communio mit Kiew zu entschließen. Und das „nach langem Gebet“, wie er jetzt in einem Schreiben an den Ökumenischen Patriarchen darlegt…
Foto: Nikolaos Magginas