Graue Wölfe streunen bis Favoriten
Weltweiter Türkenkampf gegen alles Kurdische
Caricature: © Markus Szyszkowitz
Von Heinz Gstrein
Die Angriffe organisierter türkischer Ultranationalisten auf friedliche Kurdendemonstrationen letzte Woche in Wien-Favoriten erinnern daran, dass das Problem Kurdistan trotz aller Corona-Ruhe nach wie vor virulent ist. Anlass für die – übrigens genehmigten – kurdischen Kundgebungen war ein gezielter Drohnenangriff der Türkei auf das Treffen des „Syrischen Demokratischen Rates“ bei Kobane. Der Heldenstadt, wo 2014 Kurden und vor allem Kurdinnen den Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gestoppt hatten. Jetzt kamen dort drei führende kurdische Aktivistinnen ums Leben. Der Vorfall zeigte nicht nur die schon in Libyen erwiesene Treffsicherheit der selbst entwickelten türkischen Lenkwaffen. Er beweist auch die Entschlossenheit Ankaras, ein Erbteil des syrischen Bürgerkriegs an sich zu reißen: Den Nordosten jenseits vom Euphrat, der durch die kurdisch-aramäischen „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) kontrolliert wird. Der Versuch des türkischen Machthabers Recep Tayyip Erdogan, sich dort einen breiten „Sicherheitsgürtel“ herunterzuschneiden, war über bescheidene Bodengewinne nicht hinausgekommen.
Der Kurdenkonflikt greift aber nicht nur auf Teile von Syrien und dem Irak über. Sein Herd liegt in der Türkei, verschärft die akute Demokratie- und Wirtschaftskrise. Die Ursachen liegen wie beim Palästinakonflikt schon in verfehlten Weichenstellungen der Siegermächte des Ersten Weltkriegs im Orient und der Schaffung eines exklusiv türkischen Nationalstaats durch Kemal Atatürk. Nach Massakrierung und Vertreibung aller anderen Minderheiten blieben in diesem nur mehr die Kurden als Fremdkörper übrig. Jahrzehntelang versuchte Ankara diese als „Bergtürken“ zu assimilieren, jeden Widerstand auszurotten. Seit 1984 ist dessen Speerspitze die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK). Sie verschuldet dabei zweifellos Terrorakte – wie andere Befreiungsbewegungen auch und einst sogar die Südtiroler.
Erdogan kam – wie auf anderen Bereichen – im ersten Jahrzehnt seiner Herrschaft den Kurden entgegen, ließ ihre Vertreter ins Parlament und die kurdische Sprache öffentlich zu. Doch seine spätere Wandlung zum Despoten bekamen gerade die Kurden zu spüren. Mit neuen Militäraktionen, der Verhaftung kurdischer Bürgermeister und Abgeordneter beiderlei Geschlechts. Dass Erdogan den Feldzug gegen alles Kurdische über die Grenzen der Türkei hinaus nicht nur im irakischen und syrischen Kurdistan, sondern weltweit führt, haben die Schlägerbanden seiner „Grauen Wölfe“ in Wien vollends bewiesen.