Von der Bühne zum Hörspiel
Griechisches Auslandstheater schlägt Corona ein Schnippchen
Von Heinz Gstrein
Die Theaterstadt Wien kann sich rühmen neben „Burg und Oper“ auch das einzige griechische Ensemble in Österreich – eines der wenigen außerhalb von Griechenland und Zypern – ihr eigen zu nennen: „Zur Sonne“ («…προς τον ήλιο») bringt seit 2011 ein Erfolgsstück der neugriechischen Literatur nach dem anderen zur Aufführung. Nun ist es aber schon zum zweiten Mal vom Corona-Virus schwer getroffen, so wie das ganze Welttheater. Kann auch in der Pandemie weiter gedichtet, gemalt und gemeißelt werden, was Schriftstellerei und bildender Kunst zugute kommt, so haben sich wie die Konzertsäle auch die Theater geleert. Was sind die glanzvollsten Aufführungen ohne Publikum! Die modernen Bild- und Tonmedien bieten da zum Glück einen Ausweg. Eben erst hat die Primadonna der Wiener Staatsoper mit einer nur fürs Fernsehen produzierten „Tosca“ dem Codiv-Teufel ein Schnippchen geschlagen. Da sagte sich auch das griechische Theater an der Donau: Was die Netrebko macht, das können wir auch. „Zur Sonne“ verwandelte seine alternative Traditionsbühne „Brett“ zum Radiostudio und produzierte ein Hörspiel.
Ensemblegründer Theodoros Limitsios aus Trikala hatte schon Rundfunkerfahrung in Griechenland, gab sogar Seminare „Der Schauspieler vor dem Mikrophon“. Als Blockadebrecher des Corona-Lockdowns“ adaptierte er in Wien den 2017 durch die Griechische Autorenvereinigung preisgekrönten Einakter „Perasma“ von Delina Vasileiadi im Theaterverlag KAPA. Sie war zunächst Autorin fröhlicher Kinderbücher, bis ihr mit diesem Problemstück der große Wurf als Dramatikerin gelang: Die Notlage von Miranda, die ihre Wohnung überstürzt räumen muss, steigert sich zu einem Aufräumemachen mit ihrem ganzen Leben. Auf den griechischen Bühnen überzeugte das Einpersonenstück durch die optische Wirkung von Gesten und Mimik mit Hilfe eines wirren Bühnenbilds, dessen Chaos dem inneren Zerrissensein der Persönlichkeit von Miranda entsprach. Für die Hörspielfassung musste Regisseur Limitsios auf beides verzichten: Ihm blieb einzig die Stimme seiner Darstellerin, um die ganze Handlung zum Ausdruck zu bringen und die Zuhörerschaft in ihren Bann zu ziehen.
Das war nach der bisherigen Erfolgsserie von „Zur Sonne“, die sich auf vortrefflich orchestrierte Ensembleleistungen stützte, keine leichte Aufgabe. 2013 hatte es auf Anhieb das Wiener Publikum mit „Hommage an Giannis Ritsos“ für sich gewonnen. Eingerahmt von den Versen des großen Dichters und Kämpfers führte die Handlung durch sein bewegtes Leben ins damalige Griechenland. In „Leinwand auf der Bühne“ wurden 2014 mit noch größerem Erfolg Passagen aus der Nachkriegszeit des griechischen Schwarz-Weiß-Films bunt und lebendig aufs Neue gespielt. In der nächsten Theatersaison wagte sich Limitsios mit seinem Team an eine altgriechische Komödie, die „Lysistrata“ von Aristophanes. Er wurde dabei seiner antiken Vorgabe ebenso gerecht wie es ihm gelang, heutige Errungenschaften, Ächtung jedes Krieges und Frauenemanzipation, ins Spiel zu bringen. Den inzwischen auch schon fast klassischen Neugriechen Iakovos Kambanellis stellte in Wien „Zur Sonne“ mit seinem „Hof der Wunder“ (Η Αυλή Των Θαυμάτων) geradezu nostalgisch vor.
Und weiter ging die Arbeit des griechischen Theaters in Wien. Ihre regelrecht begeisterte Aufnahme – im neugriechischen Original mit deutschen Obertiteln – durch die österreichische Omogeneia und Griechenlands kulturellen Freundeskreis erklärt Theodoros Limitsios: „Ja, weil in diesen Komödien ein Stück Griechenland weiterlebt. Sie wirken wie ein Spiegel, in dem wir uns wiederfinden. Ja, weil wir alle immer noch an den gleichen Stellen über die gleichen Witze lachen, als hörten wir sie zum ersten Mal und weil uns das Lachen weiter am Leben hält.“
Das sollte, das durfte nicht im Corona-Lockdown untergehen. Für sein Wagnis Hörspiel nahm der Regisseur die Musik von Antonis Papanikolatos zu Hilfe, für die Rundfunkpremiere am 29. November gewann er „Hephaestus Radio“ des griechisch-österreichischen Integrationsvereins „Hephaestus Wien“. Entscheidend wurde jedoch, dass er für die schwierige Rolle der Miranda aus dem Sonne-Ensemble die Stimme von Ino Matsou wählte. Das schauspielerische Naturtalent aus Thessaloniki, die sich nach abgeschlossener zahnärztlicher Ausbildung für „die Bretter, die die Welt bedeuten“ entschlossen hat, vollbrachte die blendende Leistung, ihren fast einstündigen Monolog fesselnd, ja mitreißend zu gestalten. Sie setzte alle stimmlichen Mittel ein, um den gebannt lauschenden Zuhörerinnen und Zuhörern ihre Zwangslage, Verzweiflung, Unentschlossenheit, aufkeimende Hoffnung zuzuflüstern oder herauszuschreien. Die Uraufführung des „Perasma“ als Hörspiel wird immer mit dem Namen von Ino Matsou verbunden bleiben!
Das gewagte Experiment mit dem ersten griechischen Hörspiel in der Omogeneia ist gelungen. „Zur Sonne“ hat damit die Covid-Nebel durchbrochen und sich ans Sonnenlicht einer wieder besseren Theaterzukunft durchgekämpft. Zu einer künstlerischen Morgenröte des weltweiten Griechentums nach der Corona-Nacht. So wurde das „Perasma“ in Österreich aufgenommen. Ebenso hat es sogar die führende auslandsgriechische Zeitung, der „Ethnikos Keryx“ in New York, unter dem Titel „Theater im auslandsgriechischen Radio“ gewürdigt. Auf „Zur Sonne“ also!