Zizioulas: Nicht Liturgie gucken, sondern selbst beten
Ohne gemeinsame Feier der Eucharistie sind wir keine Kirche mehr!
Von Heinz Gstrein
Athen/Belgrad. Die Virtualisierung des liturgischen Lebens der orthodoxen Kirche infolge von Corona-Isolation hat Metropolit Ioannis Zizioulas von Pergamon hinterfragt. Als führender Kopf des Ökumenischen Patriarchats war er seit den 1980er Jahren mit Begründung einer „Theologie der Eucharistie“ hervorgetreten. Die werde unter den gegenwärtigen Umständen jedoch in Frage gestellt; „Wie soll meine Theologie zur Anwendung kommen? In Griechenland haben sie schon alle Kirchen geschlossen und die eucharistische Liturgie wird nur unzugänglich gefeiert“, beklagte Zizioulas Ende März in einem Gespräch mit dem serbischen Kirchenportal „Sabornik“ (Sammlung). „Für mich ist eine Kirche ohne die Heilige Eucharistie nicht länger Kirche.“ Andererseits sei die Entscheidung der Regierenden zur Schließung von Gotteshäusern wegen der Ansteckungsgefahr verständlich.- Die Fragen wurden von zwei bekannten Geistlichen aus der serbiscchen US-Diaspora gestellt, Erzpriester Bratislav Krsic und Protokapellan Milovan Katanic.
Der Metropolit hat sich in der Vergangenheit wiederholt und vehement gegen „Privatmessen“ von Priestern und „Altarpersonal“ allein ausgesprochen wie sie im römisch-katholischen Ritus vor dem II. Vatikanum an oft vielen Seitenaltären gefeiert wurden, besonders in Ordenskirchen. Auch n der gegenwärtigen Situation hält er ein Mindestmaß an „Kirchenvolk“ für unabdingbar. Die in Serbien von der orthodoxen Kirche dem Staat abgerungene Konzession der Zulassung von bis zu fünf Kirchengängerinnen und -gängern stelle einen liturgisch gangbaren Kompromiss dar. Damit die Eucharistie aber für „alle aus gutem Grund Abwesenden“ dargebracht werden kann, wie es in den Fürbitten heißt, muss es aber auch zumindest einige Anwesende geben. Dann handelt es sich wirklich um ein Opfer für das Leben der Welt.
Dagegen werden allerdings Einwände vorgebracht, die Zizioulas zu entkräften sucht. Eines dieser Argumente lautet, dass solche „Schrumpfliturgien“ den Gottesdienst einer voll versammelten Gemeinde nicht ersetzen können und dürfen und daher gemieden werden sollen. Dem hält Metropolit Ioannis entgegen, dass eine eucharistische Gemeinde nie vollzählig sei, dass sie immer von den Anwesenden auch für Ferngebliebene gefeiert werde. Es ist auf jeden Fall besser und richtiger, die Eucharistie in einer kleinen Gemeinschaft als gar nicht zu vollziehen. Auch dann, wenn wir den Abbildcharakter des eucharistischen Mahles als Vision des künftigen Gottesreiches vor Augen haben, tut eine kleine Schar dieser „Ikonisierung“ keinen Abruch: Die ganze Schöpfung ist in dieses Lobopfer hineingenommen, jede noch so kleine liturgische Gemeinschaft steht für die Gesamtkirche. Der kleinste Tempel birgt das Universum und fasst die ganze Welt zusammen.
Ausdrücklich wendet sich Ioannis Zizioulas gegen das virtuelle Ersetzen von Eucharistiefeiern durch TV-Übertragungen und im Internet, wie das die Orthodoxe Kirche von Griechenland schon praktiziert und für Ostern plant: „Mit Fernsehübertragungen der Göttlichen Liturgie bin ich ganz und gar nicht einverstanden. Wenn ich praktisch unter Hausarrest stehe, hält mich das vom Mitfeiern der Eucharistie fern. Ich werde aber nicht den Fernseher einschalten, um mir die Liturgie anzugucken. Das hielte ich für einen Ausdruck von fehlender Frömmigkeit. Es ist überhaupt nicht ehrfürchtig, dazusitzen und „Gottesdienst zu schauen“. Auch dann nicht, wenn er aus der Athener Kathedrale übertragen wird.
Anstelle einer solchen passiven Betrachterrolle sollten die auf ihre eigenen vier Wände beschränkten Gläubigen daheim den Schatz des kirchlichen Stundengebetes entdecken. Man kann nicht auf Distanz an der Eucharistie teilnehmen, wenn man nicht.mit dabei ist. Doch können wir zu Hause selbst beten. „Dabei denke ich vor allem an die Vespern und die kirchliche Morgenfeier. Das waren ursprünglich Hausandachten, die aber heute fast nur mehr in den Klöstern gepflegt werden. Wenn ihre Neubelebung eine Folge dieser Seuchenquarantänen wird, sind die Leiden dieser Krise nicht umsonst gewesen.“
In der alten Kirche war es die Aufgabe von Diakoninnen und Diakonen, das Altarsakrament zu Kranken und Gebrechlichen sowie Gefangenen zu bringen. Auch darüber nachzudenken sollte uns die Besinnungszeit dieser Epidemie Anlass und Gelegenheit geben. Um wie viel besser wäre es um unsere ganze Seuchenpastoral bestellt, wenn die Geistlichen ständige Diakoninnen an ihrer Seite hätten…
Ausführlich erörterte Zizoulias in seinem Telefonat mit den beiden serbischen Geistlichen die Frage einer hygienischen Spendung der Eucharistie in Ansteckungszeiten wie diesen. Er verwies dabei auf die so genannte Jakobus-Liturgie. In dieser altertümlichen, neuerdings wiederentdeckten und zum Leben erweckten, Eucharistiefeier von Jerusalem werden die Gestalten von Brot und Wein getrennt dargeboten. Die byzantinischen Liturgien hingegen verteilen die eucharistischen Gaben seit dem Hochmittelalter aus ein- und demselben Kelch mit einem vergoldeten Löffelchen. Das stößt gerade angesichts des Coronavirus wieder auf breite Kritik. Der Metropolit empfiehlt daher, allgemein nach der Jakobustradition für sich konsekrierte Brotwürfel leicht in den Kelch zu tauchen und so die Eucharistie zu spenden. Allerdings hält er – wie die Orthodoxie allgemein – jede Ansteckung durch den Leib und das Blut Jesu für grundsätzlich ausgeschlossen.
Ausßerdem verkündet der 89jährige Altmeister orthodoxer Theologie seine feste Überzeugung, dass das Licht der Eucharistie nie erlöschen und damit die Kirche nicht aussterben wird. Die eucharistische Communio ist ebensowenig wie die Gemeinschaft der Heiligen in der Kirche, deren mystischen Leib wir bilden, zum Untergang verurteilt. Uns das bewusst zu machen war wohl auch eine Aufgabe der Corona-Krise…