„Niki“ als Siegerin über die „Verwässerung“ der Orthodoxie
Griechenlands Feinde der Ökumene schließen sich politisch zusammen
Von Heinz Gstrein
Saloniki/Athen. In Griechenland wird am 25. Juni noch einmal gewählt, nachdem die konservativ-liberale Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) bei dem Urnengang vom 21. Mai nur eine relative Mehrheit erreicht hat. Darauf flüchtete sich Premierminister Kyriakos Mitsotakis in eine rasche Neuverteilung der 300 Parlamentssitze. Das dafür geänderte Wahlrecht, von dem die stärkste Partei mit einem Bonus von 50 zusätzlichen Abgeordneten belohnt wird, soll der ND dabei die absolute Mehrheit in der Athener „Vouli“ sichern.
Diese Siegesgewissheit wird aber inzwischen vom Aufstieg einer bei den Griechen noch nie dagewesenen Partei erschüttert: Unter dem Namen „Niki“ (Sieg) haben sich erklärt griechisch-orthodoxe Kreise zusammengefunden, noch dazu die reaktionärsten und Ökumene-feindlichsten unter ihnen. Mit dem Slogan „Heimat, Glauben, Familie“ sprechen sie auch sonst rückschrittliche kirchliche Gruppierungen an. Im modernen Griechenland gab es immer wieder politisch extreme, ultranationale Formationen. Doch eine Partei wie „Niki“ auf rein griechisch-orthodoxer Basis hatte sich noch nie zusammengefunden. Noch dazu mit Erfolg auf Anhieb im Urnengang vom Mai, der sich jetzt bald wiederholen, sogar verstärken dürfte.
Ministerpräsident Mitsotakis plante sofort einen Besuch in der Klosterrepublik Athos, der aber wegen des dort noch immer grassierenden Covid bisher aufgeschoben wurde. Er wird in erster Linie den Mönchen von Philotheou gelten, die als Hintermänner und Geldgeber der „Niki“ im Verdacht stehen. Die ursprünglich von mehreren Geistlichen Vätern (Gerontes) und ihren Schülern bewohnte „idiorythmische“ Abtei hatte 1973 durch Abt Ephraim Moraitis eine strikte Regel gemeinsamen Lebens erhalten. Philotheou war neuerdings in schiefes Licht geraten, als ihm 2022 Überweisungen aus Russland in Millionenhöhe nachgewiesen werden konnten. Lang blieb die Frage nach der Verwendung dieser Gelder offen. Erst jetzt gelang es, den Mönchen die Finanzierung der „Niki-Partei“ nachzuweisen, als diese ihren Sitz in einem Wohn- und Geschäftshaus mit riesiger Parkgarage in der Nähe an der Straße Makenzy King 12 im Herzen von Saloniki nahm, die dem Kloster Philotheou gehören.
Dort befindet sich das Büro des 58jährigen Religionslehrers Dimitris Natsios, des Parteivorsitzenden der „Niki“. Als antiökumenischer Fanatiker war er erstmals aufgefallen, wie er 2017 als Belastungszeuge bei Griechenlands Kirchengerichtsbarkeit eine Anzeige gegen Bartholomaios I. unterstützte. Er beschuldigte den Patriarchen, „öffentlich die Panhäresie (Erzirrlehre) des Ökumenismus zu propagieren.“
2019 gründete Natsios die „Niki“, den „Sieg über alle Orthodoxie-Verderber“. Die Partei drohte in Bedeutungslosigkeit zu versinken, bis der Einfall Putins in die Ukraine erfolgte. Natsios ergriff für das „Heilige Russland“ Partei, was ihm die Sympathien und dann auch Stimmen des starken prorussischen Lagers unter Griechinnen und Griechen zuschanzte. Der Bischofssynod der Orthodoxen Kirche von Griechenland sah sich daher jetzt zwischen beiden Wahlen zur Verurteilung jeder parteipolitischen Vermarktung religiöser Strukturen und Inhalte veranlasst, ohne aber Dimitris Natsios und die Anhänger seiner „Niki“ beim Namen zu nennen.
Aus dem orthodoxen Episkopat wagt es zwar niemand, sich offen zu dieser Politisierung der Orthodoxie in ihrer rigorosesten Form zu bekennen. Einziger erklärter Befürworter der „Niki“ ist der 2019 wegen seiner Einstellung zum Rücktritt genötigte Metropolit der südgriechischen Bergstadt Kalavryta, Amvrosios Lenis. Klöster hingegen stehen mehrheitlich auf der Seite von Natsios, so außerhalb vom Athos auf der Insel Paros die seit eh und je recht konservative Kommunität von Longovarda.
Hauptakteure sind jedoch neben Laientheologen wie Natsios die höheren Kleriker vieler Bistümer. Für sie hat sich die Bezeichnung „Apoteichismenoi“ (wie durch eine Mauer von der in die Irre gegangenen Amtskirche Abgesicherte) eingebürgert. Zu ihnen zählen auch sonst durch Frömmigkeit und Bildung ausgezeichnete Persönlichkeiten wie Seraphim Zisis, der aber die Ökumene für ein Konstrukt der Freimaurer hält, oder Angelos Angelakopoulos, von dem interkonfessionelle Dialoge für „nutzlos“ gehalten werden. Dazu kommen noch Maximos Karavas in der Metropolis Florina oder der den Ökumenismus verteufelnde Anastasios Gotsopoulos in Patras und viele andere. Als Merkmal ihrer Treue zu einer „unverfälschten“ Orthodoxie sticht in erster Linie Feindseligkeit gegen Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel hervor.
Die Parlamentskandidaten der „Niki“ sind durchwegs Laien, nicht viele von ihnen theologisch gebildet. Es überwiegen bei anderen Parteien gescheiterte Möchte-Gern-Abgeordnete wie Nikos Nikolopoulos, der sich schon bei einem halben Dutzend Wahllisten versucht hat. Oder Unternehmer, die sich bei der „Niki“ einkaufen, um ihren politischen Ehrgeiz zu befriedigen.
Ungeachtet dieser bunt zusammengewürfelten Schar von Partei-Ideologen und Kandidaten räumen politische Beobachter in Athen der „Niki“ echte Chancen für eine größere Parlamentsfraktion ein, die der Nea Demokratia ihre Schachzüge für eine absolute Mehrheit durchkreuzen könnte. Zu groß ist das Reservoir der orthodoxen Fanatiker. Es ist in den Jahren der griechischen Finanzkrise zwischen 2010 und 2018 mit ihren Nöten für breiteste Schichten erheblich gewachsen.