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Bartholomaios: Auch nach Ostern ukrainischer Kreuzweg!

 

Gedenken an orthodoxen Märtyrer-Patriarchen Kyrillos VI. in Edirne

 

Von Heinz Gstrein

Nikosia/Edirne. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., hat am 30. April erstmals den Gedenktag seines von ihm an 11. Januar heilig gesprochenen Vorgängers Kyrillos VI. am Schauplatz von dessen Märtyrertod in Edirne begangen, wo dieser 1821 gehenkt worden war. Gleich darauf wurde am 1. Mai in der zyperngriechischen Tageszeitung „Kathimerini“ eine scharfe Verurteilung des Primas der Orthodoxie für die Segnung von Waldimir Putins Ukrainekrieg durch die Russische Orthodoxe Kirche veröffentlicht: „Die Kreuzigung von Jesus Christus scheint sich für das vielgeprüfte ukrainische Volk fortzusetzen“, beklagt Bartholomaios in seinem Interview, lässt dem aber gleich den orthodoxen Ostergruß „Christ ist erstanden!“ folgen.

 

 

Er wolle nicht seine Verurteilung jedes Krieges wiederholen und die Haltung der politischen Führung von Russland kritisieren. Darüber werde die Geschichte ihr Urteil sprechen. „Dennoch sind wir überzeugt, dass das russische Volk – wenigstens unsere wirklich orthodoxen Glaubensgeschwister – all dem nicht zustimmen können, was ihren ukrainischen Nachbarn angetan wird.“ Der Ökumenische Patriarch wies auf den Widerstand eines „tapferen Anteils“ hin, der gegen den Bruderkrieg auftritt und sich für Frieden einsetzt. Damit nahm Bartholomaios nach Ansicht von Kommentatoren auf die um sich greifende Dissidenz im Klerus von Kolomna und anderen Moskauer Randbistümern Bezug.

Abschliessend ging Patriarch Bartholomaios mit der russischen Kirchenleitung scharf ins Gericht: „Angesichts der Tötung unschuldiger Menschen, der Bombardierung einer wehrlosen Bevölkerung, dem Ausradieren ganzer Städte, dieser menschlichen Tragödie gegenüber, lassen sich keine Predigten dulden, die diesen Krieg als heilig anpreisen. Das ist schmerzlich, bereitet uns tiefstes Leid und Trauer“.

 

 

Das Auftreten des Ökumenischen Patriarchen in Edirne betreffend, war der Phanar lang zurückhaltend damit, Opfer der osmanisch-islamischen Justiz zur Ehre der Altäre zu erheben und so die Obrigkeit zu provozieren. Ihre Heiligsprechungen erfolgten durch die Orthodoxe Kirche von Griechenland. Doch gibt es auch Ausnahmen: So werden in Istanbuls Viertel Hasköy am Goldenen Horn ebenfalls am 30. April die Reliquien der „Neumärtyrerin“ Argyri (1688-1725), volkstümlich verehrt. Sie soll sich geweigert haben, ihr schriftliches Eheversprechen an einen Türken samt Übertritt zum Islam einzulösen. Zu lebenslanger Haft verurteilt starb sie im Kerker von Hasköy: Bei den meisten orthodoxen Fällen von Neumärtyrertum aus osmanischer Zeit handelt es sich um solche „Apostasie“ nach vollzogener oder versprochener Hinwendung zum Islam und nicht um generelle Christenverfolgung.

 

 

Bartholomaios bewies nun jedenfalls einigen Mut, indem er der Sanktifikation von Kyrillos VI. durch den Konstantinopler Bischofssynod vom Jahresanfang nun persönlich die kirchenamtliche Feier von dessen erstem Gedenktag folgen ließ: Am Fenster des historischen „Bischofshauses“ von Edirne im heutigen türkisch-bulgarisch-griechischen Dreiländereck, erinnerte der Patriarch an seinen Amtsbruder, der da am Gitter aufgeknüpft war und baumeln musste, bis der Strick riss, er noch lebend hinunterstürzte und „den Juden“ zur Wegschaffung übergegeben wurde – so spielten die Osmanensultane eine ihrer religiösen Minderheiten gegen die andere aus.

Kyrillos VI. Serpetzoglou (um 1770 bis 1821) verdiente dieses Los wirklich nicht. Wäre er nicht schon als 50jähriger ums Leben gebracht worden, hätte er sich wohl zu einem der bedeutendsten Ökumenischen Patriarchen entwickelt. Abgesehen von seinen Verdiensten um kirchliches Bildungs- und Sozialwesen zeichneten ihn noch zwei einmalige Anliegen aus: Er führte das Predigen und sonstige Glaubensunterweisung auch auf Türkisch ein, gab dafür selbst ein unermüdliches Beispiel. Darin fand Kyrillos VI. erst in Athenagoras I. (1946-1972) einen Nachfolger, der jedes Jahr bei der sommerlichen Zeugnisverteilung an der Theologischen Hochschule von Chalki beklagte: „Schon wieder nur schlechte Noten in Türkisch! Wir müssen doch das christliche Heil unserer türkisch-islamischen Umwelt in ihrer Sprache zugänglich machen…“

 

 

Zweite Leistung von Kyrillos VI. trotz seiner kurzen Amtszeit von 1813 bis 1818, auf die Absetzung, Verbannung nach Edirne und schließlich Hinrichtung folgten, war die Herausgabe eines bulgarisch-griechischen Wörterbuchs. Konstantinopel, das einst die Slawenapostel Kyrill und Method entsandt, ganz Südost- und Osteuropa das von ihnen geschaffene Kirchenslawische und dessen Schriftzeichen geschenkt hatte, verhielt sich seit dem 18. Jahrhundert unter osmanischer Herrschaft recht feindselig zur kulturellen Eigenständigkeit der ihm unterstellten Balkanchristen. Wäre das Bemühen von Kyrillos VI. zum Tragen gekommen, hätte es dann wohl kaum die Abspaltung des Bulgarischen Exarchats vom Phanar 1870 gegeben, die bis 1961 dauern sollte. Wenn jetzt aber Bartholomaios I. den neuen Heiligen in der ehemaligen bulgarischen Exarchatskirche Sveti Georgi ehren durfte, zeigt das, dass die Saat seines Vorgängers endlich doch aufgegangen ist. Seit ihrer Vertreibung im Herbst 1922 haben die griechischen Orthodoxen in Edirne keine Kirche mehr. Auch die Kathedrale des Metropoliten wurde zum Lager für Baumaterial, bis sie gänzlich der Errichtung eines Hotels weichen musste. So teilen sich heute Griechen und Bulgaren einvernehmlich in die Georgskirche, wie auch wieder beide in Edirne einen Bischofssitz haben und sich im „Bischofshaus“ zusammengefunden haben. Die heute renovierten Gebäude liegen im Altstadtviertel „Barutluk, der „Pulverkammer“, unter dem Kuppelbau der Selimiye-Moschee, die daran erinnert, dass Edirne von 1368 bis 1453 Hauptstadt des Osmanischen Reiches war.

 

 

 

Ein Tag der Versöhnung wurde der 30. April in Edirne nicht nur zwischen griechischen und bulgarischen Orthodoxen: Für Metropolit Amphilochios Stergiou bedeutete der Patriarchenbesuch auch seine volle Rehabilitierung, nachdem er Anfang 2022 von seiner bisherigen, wichtigen Aufgabe als Vertreter von Bartholomaios I. bei der Orthodoxen Kirche von Griechenland „aus Gesundheitsgründen“ zurückgetreten war. Stimmen im Phanar sprachen aber von einem nicht ganz freiwilligen Rücktritt auf Wunsch des Patriarchen, der Amphilochios nicht diplomatisch genug für seine schwierige Mission in Athen befunden hätte. Er wurde darauf nach Edirne abgeschoben, dessen Titularmetropolit er bisher schon wie zuvor der Ökumeniker-Bischof der Schweiz, Damaskinos Papandreou, während dessen letzten Lebensjahren 2003 bis 2011 in der Ungnade von Bartholomaios gewesen war.

Jetzt hat Amphilochios Stergiou, mehr Seelsorger wie Kirchenpolitiker, als amtierender Metropolit von „Adrianopel“ (oder bulgarisch Odrin) die Neugründung der orthodoxen Kirche in der Europäischen Türkei zu versuchen. Dort hat Bartholomaios schon fünf andere, 1922 von der Türkei nach Griechenland „verlagerte“ Diözesen wieder ins Leben gerufen. Das türkische Ostthrakien von heute war bis vor dem Ersten Weltkrieg eine fast geschlossen christliche – und jüdische – Gegend. Nach den Balkankrieg 1912/13 waren als erste die Bulgaren zur Austreibung durch die Türken fällig. Die Griechen erlebten von 1919-1922 unter der Herrschaft Athens eine vorübergehende Blüte, so wurde in Edirne die damals erste und einzige orthodoxe Priestergewerkschaft gegründet. Das war 1922 zu Ende, als alle orthodoxen Griechen über den Grenzfluss Mariza gejagt wurden. In den dreißiger Jahren kamen dann als letzte Nichttürken die damals noch zahlreichen Juden mit Pogromen und Abschiebungen an die Reihe.

Seitdem ist das türkische Thrakien ein verödetes Land. Auf der Fahrt zwischen Istanbul und Edirne gibt es außer an Tankstellen kaum eine Menschenseele. Nicht mehr so einsam nur die Küste am Marmarameer. Aber auch dort hauptsächlich Wirtschaftsemigranten aus dem ehemaligen Ostblock. Drei der von Bartholomaios wiedererrichteten orthodoxen Diözesen liegen dort. Mit dem Ukrainekrieg wird die Zahl der Neuankömmlinge noch höher klettern. „Diese Flüchtlinge sind die Zukunft unserer Kirche“, hofft Maximos Vgenopoulos, Metropolit des kirchlichen „Wiederaufbaus“ in Silivri nicht weit von Istanbul.

 

Foto: Nikos Papachristou

 

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