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Litauens Orthodoxie setzt sich von Moskauer Ukraine-Kurs ab

Doch Putin und Patriarch Kyrill haben auch im Westen ihre Sympathisanten

 

Von Heinz Gstrein

Phanar/Vilnius/Tirana/Nikosia. Der verheerende Krieg in der Ukraine wird von der Orthodoxie mehrheitlich verurteilt und die Schuld Russland als „Aggressor“ zugewiesen. Doch gibt es auch andere Stimmen, die jede Parteinahme vermeiden und allgemein nach „christlicher Gewaltenthaltung“ rufen. So war das seinerzeit bei Einspannung von Ostblockkirchen für die sowjetische Weltfriedens-Propaganda der Fall. Dazu kommen aber einige orthodoxe Bischöfe aus dem Westen, die Verständnis für Vladimir Putins „Militäraktion“ und ihre Billigung durch den Moskauer Patriarchen Kyrill zeigen.

Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel hat die russische Invasion von Anfang an verurteilt, die Kriegsopfer beider Seiten beklagt, sofortige Feuereinstellung und „Dialog“ gefordert. So wieder letzten Sonntag in der Theodoren-Kirche des Stadtteils Büyük Langa: „Wie viel Blut und Tränen sollen noch vergossen werden!“ Tags zuvor hatte bei einer Audienz im Phanar der griechische Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, bestätigt: „Der Ökumenische Patriarch ist ein lebendes Symbol der Werte des Vereinten Europas.“. So der friedlichen Koexistenz, von Toleranz, Verständnis und vor allem Frieden. Er habe mit Bartholomaios I. „in dieser dunklen Kriegsstunde besprochen, wie die Christenheit, die Orthodoxie, aber auch die EU-Führung zu einem friedlichen Auswegs aus dem Konflikt beitragen können.“

Inzwischen hat sich als erstes hochrangiges Mitglied des Moskauer Episkopats Metropolit Innokentij Vasiljev von Vilnius und Litauen die Befürwortung der Russischen Orthodoxen Kirche für den Einfall Putins in die Ukraine verurteilt: „Die Position der orthodoxen Kirche in Litauen ist unabänderlich: Wir verurteilen mit Bestimmheit den Krieg Russlands gegen die Ukraine und bitten Gott um sein rasches Ende.“ Auf der russischen Website der „Orthodoxen Kirche in Litauen“ wird der 75jährige Oberhirte am 17. März in seinem „Aufruf“ (Obraschtschenie) bald noch deutlicher: „Liebe Brüder und Schwestern! Wie ihr gewiss bemerkt  habt, vertreten Patriarch Kyrill und ich unterschiedliche politische Überzeugungen und Einschätzungen der aktuellen Ereignisse. Seine politischen Erklärungen zum Krieg in der Ukraine bringen nur eine persönliche Meinung zum Ausdruck. Wir in Litauen sind mit dieser nicht

einverstanden! Ich will es hier offen aussprechen, dass wir, die litauischen Orthodoxen, heute imstande sind, unsere inneren Angelegenheiten selbständig zu lösen, für eine noch größere Freiheit der Kirche zu kämpfen. Wir glauben daran, dass Gott uns in der Zukunft eine solche kirchliche Eigenständigkeit gewähren wird.

Zum Abschluss schreibt Metropolit Innokentij Waldimir Putin und Patriarch Kyrill hinter die Ohren: „Wir leben in einem freien und demokratischen Land. Litauen ist nicht Russland! Wir sind ein völlig anderer Staat, eine ganz andere Gesellschaft mit ihrem eigenen spirituellen und moralischen Klima.“

Bei Metropolit Innokentij handelt es sich um einen der angesehensten, doch von zentralen Führungspositionen stets ferngehaltenen russischen Bischöfe. Der spätberufene Techniker aus dem historischen Ort Stara Russa bei Nowgorod konnte es erst nach der Wende zum Bischof in Russlands Fernem Osten bringen. Ein Zwischenspiel am Kirchlichen Außenamt in Moskau war nur von kurzer Dauer, um ihn von dessen sich abzeichnender Leitung abzudrängen. Nach einer Rückversetzung hinter den sibirischen Baikalsee wurde Vasiljev endlich 2002 als westeuropäischer Erzbischof von „Korsun“ nach Paris entsandt. In den folgenden acht Jahren erwarb er sich dort den Ruf eines frommen, gütigen und ökumenisch offenen Oberhirten. Besonders bei seinen Schweizer Gläubigen ist er unvergessen.

2010 beruft Moskau Vasiljev als Erzbischof, später Metropoliten nach Vilnius. Zwar zählt das heutige Litauen nur mehr wenige tausend Orthodoxe, doch mitumfasste seine Metropolie früher das ganze heutige Belarus und Teile der Ukraine. Dort hat Innokentijs Stimme aus dem alten Kirchenzentrum wie die seines Vorgängers Chryzostomos Martyschkin großes Gewicht behalten.

Im Unterschied zu solchen Stimmen mit klarer Nennung der Dinge beim Namen sind andere bemüht, sich in Sachen Ukraine hindurchzuschlängeln. So der 93jährige albanische Erzbischof Anastas, der sich schon im Streit um die ukrainische Kirchen-Autokephalie nur ausweichend positioniert hatte. In einer Predigt am „Sonntag der Orthodoxie“ in der Auferstehungskathedrale von Tirana forderte er eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen in der Ukraine, ohne klar zu machen, ob sich dieser Appell an die russischen Angreifer oder die ukrainischen Verteidiger richtet. Wenn er vorschlug, „die Eintracht zwischen den Orthodoxen schnellstens wiederherzustellen, sich für Frieden, Versöhnung und internationale Solidarität einzusetzen“, so klang das ganz nach den Resolutionen einstiger Prager Friedenskonferenzen. Zuhörer wiesen darauf hin, dass noch immer Kirchenoberhäupter in der Orthodoxie aus den Reihen der kommunistisch verordneten „Friedenspriester“ stammen und von deren Ideologie bis heute nachhaltig geprägt sind.

Das betrifft eine bis heute antiwestliche und speziell amerikafeindliche  Einstellung. Sie kommt in der Predigt zum Ausdruck, die Abt-Metropolit Nikephoros Kykkotis ebenfalls am „Sonntag der Orthodoxie“ an der Niederlassung seines Bergklosters in Zyperns Hauptstadt Nikosia gehalten hat. Er machte die „westlichen und NATO-Mächte“ mitverantwortlich für die heutige Krise in der Ukraine. In der Prokopios-Kirche seiner Abtei Kykkou verglich er die Haltung der  „Westler“ zum türkischen Überfall auf Zypern 1974 mit der heutigen Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine: „Heute schöpfen sie mit galliger Schadenfreude ihr ganzes Arsenal an tödlichen Wirtschaftssanktionen gegen das russische Volk aus. Im Fall von Zypern haben sie sich hingegen wie Pilatus die Hände gewaschen, zugeschaut und geschwiegen. Sie blieben nervenaufreibend untätig: Stumme Zeugen der schändlichen türkischen Untat von 1974.“

Warum ist das ethische Feingefühl des Westens so wählerisch, fragte Nikephoros abschliessend seine in der Kirche und vor ihr dichtgedrängten, gläubig lauschenden Zuhörer. Und gab ihnen selbst zur Antwort:„Leider lassen sie ihre globalen strategischen, geopolitischen und ökonomischen Interessen im einen Fall schweigen und im anderen zuschlagen“.

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