‘Αρθρα NEA

Ein aufgehender Stern ist untergegangen

 

Metropolit Hilarion war Putin zu wenig linientreu zum Ukraine-Krieg

 

Von Heinz Gstrein

In Moskau gab es am 7. Juni ein orthodoxes Erdbeben: Der mächtige Chef des Kirchlichen Aussenamtes, Hilarion Alfejew, wurde entlassen und nach Ungarn ins Ausgedinge geschickt. Was bringt sein Sturz Russlands Evangelischen und besonders den Freikirchen?

Als eine Delegation der katholischen Uni Fribourg im Herbst 2000 das russische Patriarchat besuchte, feierte sie den damaligen Priestermönch Hilarion als „aufgehenden Stern“ am Moskauer Kirchenhimmel. Dabei war dieser seit der Kindheit als Musiker und bald auch Komponist hervorgetreten, schien ganz für eine grosse künstlerische Karriere bestimmt. Während seines unerfreulichen und langen Militärdienstes vernahm Alfejew jedoch nach eigener Aussage den „Ruf Jesu“. Er trat 1987 im litauischen Wilna ins Kloster ein. Lang hielt es ihn aber nicht in der Mönchszelle: Zwischen 1989 und 1999 heimste er theologische Doktortitel in Moskau, Oxford und Paris ein. 2002 wurde Hilarion Bischof, erst in London, dann in Wien. Er war damals zum ersten Mal für Budapest zuständig, weigerte sich dort erfolgreich gegen eine Rückgabe der von den Sowjets den Griechen geraubten Marienkathedrale.

Bei einer Diskussion darüber an der Wiener Nikolaj-Kirche konnte man den stillen, romantischen Hilarion zornig schreien hören. Unser Burgfrieden wurde aber bald im russischen Kloster Neues Jerusalem bei einer Flasche Wodka gefolgt von einer Cognac wieder hergestellt. Zuvor hatten wir die prächtigen Handschriften der Bibliothek bewundert. Hilarion zeigte besonders beeindruckt, als er eine Unterschrift des einstigen Patriarchen Nikon als „Grossherrscher“ entdeckte.

Dieser Titel war damals für den Zaren reserviert. Hilarions Augen leuchteten auf, er schien die eigene kirchenpolitische Zukunft zu schauen. Beim Rückflug nach Wien ging es wieder ganz um Innerlichkeit. Hilarion nannte Jesus „die Wahrheit in allen Dingen“…Bald darauf wurde er beim Patriarchenwechsel von Alexi II. auf seinen Mentor Kyrill zu dessen Nachfolger an der Spitze des Kirchlichen Aussenamtes. Damit war die Zuständigkeit für alle Beziehungen zu nicht-orthodoxen Christen verbunden.

Alfejew, der inzwischen auch in Fribourg Professsor geworden war, entwickelte diese Kontakte einseitig in Richtung katholische Kirche. Für evangelische Christen zeigte er Unverständnis. Viele Protestanten hätten eine „lockere Version des Christentums“ entwickelt, das „ohne Bindung an die christliche Moral auskommt“. Von diesem Vorwurf an die „etablierten Grosskirchen“ nahm er allerdings evangelische „Neuprotestanten“ mit ihrer zentralen Erweckungsfrömmigkeit aus.

 

Das hinderte Hilarion nicht, im orthodoxen Führungsgremium „Heiliger Synod“ Massnahmen gegen „ausländische Sekten“ mitzutragen, worunter die meisten Freikirchen zu leiden hatten, die nicht schon lang in Russland vertreten waren. Ein wenig öffnete er sich zu diesen und empfing Ende Mai im Vorfeld seiner Absetzung den neugewählten Vorstand der „Russischen Union der Evangelikalen Christen und Baptisten“. Auch in einem theologischen Werk verteidigte er die Verehrung des „Namens Jesu“ in der kirchlichen Frömmigkeit.

In die Verherrlichung von Putins Überfall auf die Ukraine durch seinen Patriarchen hat Alfejew nicht eingestimmt. Sein Schweigen war aber dem Machthaber im Kreml und seinem gefügigen Sprachrohr Kyrill nicht genug Unterwürfigkeit:  Hilarion Alfekew wurde reif für den Abschuss. Zum letzten Mal war das in seinem Amt noch in der Sowjetzeit Nikolaj Jaruschewitz im Mai 1960 passiert, der sich Chruschtschow widersetzte, dann auch unter verdächtigen Umständen sterben musste.

Vom neuen zweiten Mann an der russischen Kirchenspitze, Antonij Sewjruk, bleibt nicht viel zu erwarten. Er ist ein – wie man früher sagte – „Apparatschik“. Sewrjuk verfügt weder über die Personalität noch die Bildung und religiösen Tiefgang des Vorgängers. Sein einziges Werk ist eine Seminararbeit über die Eschatologie der Weltreligionen. Allem Evangelischen steht er völlig fremd gegenüber. Seine bisherige Laufbahn spielte sich fast immer in Roma ab, dem Zentrum des Katholizismus.

Auch auf seinem letzten Posten in Paris hielt er sich im bei allem staatlichen Laizismus erzkatholischen Frankreich auf. Auf dem Papier ist er seit 2019 auch für die Schweizer Orthodoxen zuständig, aber bei ihnen kaum in Erscheinung getreten.- Jetzt kann nur gehofft werden, dass Hilaron Alfejew sein Abstellgeleise in Ungarn zur Vertiefung seiner Innerlichkeit, besonders der Jesus-Frömmigkeit nutzen wird. Dann hat die russische Orthodoxie, haben aber auch alle Evangelischen, von ihm noch Gutes zu erwarten…

 

 

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