Deutsche Äbtissin auf der Flucht. Griechischer Bischofsdespot vertrieb Ehren-Staatsbürgerin
Von Heins Gstrein
Athen. Es ist noch keine fünf Jahre her, dass im Athener Präsidentenpalast die Leibgardisten „Tsoliades“ mit ihren malerischen Fustanella-Röcken das Gewehr präsentierten: Für eine unscheinbare, schwarz verhüllte Nonne. Doch ein markantes Gesicht mit strahlenden Augen schaffte ihr Respekt. Fast ehrfürchtig wurde sie von Staatsoberhaupt Prokopis Pavlopoulos empfangen. Er verlieh ihr persönlich die griechische Staatsbürgerschaft!
Für die im Saarland aufgewachsene Hannoveranerin Charlotte Stapenhorst war das im Februar 2017 eine Krönung ihres dreißigjährigen Wirkens in Griechenland. Längst wurde sie auch über dieses hinaus in orthodoxer Welt und Diaspora als Erneuerin des weiblichen Ordenslebens verehrt. Doch gab es auch Fanatiker, die sie anfeindeten, seit sie orthodox geworden und unterm Klosternamen Diodora den Schleier genommen hatte. Sie verweltliche das monastische Leben, sei insgeheim Katholikin geblieben und habe als „deutsche Ausländerin“ nichts unter Griechinnen und Griechen zu suchen. Dem trat da der Präsident entschlossen entgegen.
Daheim war Schwester Diodora schon seit 2007 seit zehn Jahren im mittelgriechischen Georgs-Kloster, dem sie als Äbtissin vorstand. Wenn sich dessen deutscher Förderverein „Paradiesgarten“ EV nannte, so war in dem romantischen, doch recht ungesunden Bergtal äußerlich wenig davon zu merken. Die alte Abtei war 1970 zum Priesterseminar umgebaut, doch bald wieder verlassen worden. Hinter zerbröckelnden Fassaden hausten mit den Nonnen Feuchtigkeit, Schimmel und Mauerfraß. Das Paradies wohnte in den Herzen der Schwestern!
Mit ihrem Beitritt zur orthodoxen Kirche wollte sie keinen Konfessionswechsel empfehlen, erklärt im Refektorium Äbtissin Diodora. Sie wurde einfach von der ostkirchlichen Spiritualität überwältigt, regelrecht mitgerissen. Ihr Lehrmeister war ein anderer westlicher Orthodoxer, der Franzose Olivier Clement: „Wenn einige Menschen zu Gebet werden, zu reinem Gebet, verwandeln sie die Welt, allein durch die Tatsache, dass sie da sind, dass es sie gibt.“
Als Stapenhorst nach Griechenland kam, befand sich dort das Ordensleben in einer Krise. Die Männerklöster waren am Aussterben, sogar auf dem Heiligen Berg Athos. Fast nur Frauen hielten Ideale und Praxis eines voll gottgeweihten Lebens aufrecht. Dann setzte bei den Mönchen bis heute eine Welle vordergründigen Aufschwungs ein. Allerdings um den Preis der Betonung von Selbstgerechtigkeit, Kleben an Äußerlichkeiten und Gehässigkeit gegen nicht-orthodoxe Christen.
Inzwischen hatte die vorher an der Berliner Kunstuniversität ausgebildete Diadora in Athen Theologie und mit einem Stipendium des Athener Erzbischofs in Straßburg Kirchenrecht und Jura studiert. Auch die bioethische Herausforderung unserer Zeit faszinierte sie. Dennoch entschied sie sich für die Aufgabe, dem orthodoxen Nonnenleben neuen Gehalt zu geben. Nicht mehr zum Lückenbüßen für fehlende Mönche, sondern als innerliche, ökumenische Alternative zum geist- und auch frauenfeindlichen Trend in den sich wieder füllenden Männerklöstern. 2014 hat sie an der Katholischen Akademie München von dieser Sendung berichtet.
Kraftquelle und Zentrum dieses Wirkens war das ärmliche, fast schäbige Klösterchen. Dort betete Diodora für die ganze Schöpfung mit ihren Nonnen. Die kommen inzwischen aus aller Welt: Den USA, Russland, Israel, Norwegen, aus Großbritannien und Frankreich, aus Bangladesh und der Ukraine, aus Griechenland natürlich Deutschland.
Ein Ort, um zur Ruhe zu kommen. Zu Gott zu kommen. Mit Ihm im Gebet zu leben. Sich von Ihm erfüllen zu lassen.
Im Kloster Hagios Georgios wurde das spürbar. Greifbar. Erlebbar. Eine besondere Art von Liturgie, die nicht verstummt, sondern sich weiter durch den Tag zieht: Während der Arbeit, etwa mit den Schafen und Ziegen, oder bei der Pflege kranker und hilfsbedürftiger Schwestern und Frauen, die sie aufgenommen haben, beim Herstellen von Salben, dem Schneidern von Gewändern. Schließlich das Gebet allein und für sich, in der Zelle, wenn sich nächtliche Stille über das Kloster gesenkt hat. Die Nonnen lebten mit geöffnetem Herzen, um es immer mehr zu einer Kirche Christi werden zu lassen.
Diesem Geheimnis spürte Diodoras deutsche Jugendfreundin Ilka Pipgras nach, wenn sie im Buch „Meine Freundin die Nonne“ zum Wiedersehen mit ihr im Kloster hinter den sieben Bergen Thessaliens schreibt: „Ich will sehen, was einen Menschen so stark macht, dass er ohne Not komplett mit seinem alten Leben bricht. Will spüren, was meiner Freundin diese Gewissheit gibt, die sie über uns andere erhebt.“
Doch heute 2022 liegt Diadoras „Paradiesgärtlein“ verlassen, nur mehr Disteln und Dornen wachsen zwischen den bröckelnden Mauern. Was ist da für eine Katastrophe passiert? Zuständig für ein Kloster ist auch in der Orthodoxie in der Regel der Ortsbischof. Also finde ich mich am Ordinariat in der Kleinstadt Karditsa ein. Da werde ich aber recht ungnädig aufgenommen: „Was suchen Sie denn dort? Was wollt Ihr von der Brut? Die hat unser neuer Bischof gründlich ausgetrieben!“
Das Rätsel löst dann erst auf Zakynthos der versierte Kirchenjournalist Sotiris Tzoumas: Das Paradiesgärtlein, seine Äbtissin Diodora Stapelhorst, aber auch Abt Dionysios Kalabokas sind einem Bischofswechsel zu Opfer gefallen, wie er in der Orthodoxen Kirche von Griechenland öfter und mit verheerenden Folgen ins Werk gesetzt wird. Meist nur angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Bistumsgebarung und hinterlistige Missbrauchsvorwürfe dienen als Hebel, um angesehene und beliebte Metropoliten (= Bischöfe) in den Ruhestand zu schicken oder gar mit Kirchenstrafen zu belegen. Das musste auch der Schirmherr des Paradiesgärtleins erleiden, Metropolit Kyrillos Christakis. Sein Nachfolger Timotheos Anthis erwies sich als richtiger „Despot“, wie die Griechen ihre Bischöfe meist nicht zu Unrecht nennen. Despot Timotheos fand jedenfalls, dass ihm von Abt. Äbtissin und Schwestern nicht die ihm gebührende Unterwürfigkeit erwiesen würde. Ein Kirchengericht erster Instanz verhängte siebeneinhalbjährige Suspension, der Prozess kletterte von einer Justizstufe zur anderen empor, bis jetzt im Juni 2022 das Oberste Kirchengericht in Athen endgültige Laisierung wegen kanonischem Ungehorsam verhängte. Abt Dionysios konnte unter Berufung auf seine schwere Erkrankung eine Aussetzung dieses harten Urteils erwirken. Das Ökumenische Patriarchat hat diese Annullierung sofort promulgiert.
Äbtissin Diodora mit ihren Schwestern war inzwischen schon wohl beraten, aus dem kirchlich so feindseligen Griechenland das Weite zu suchen und nach Deutschland zurückzukehren. Nach langem Suchen fand die Kommunität eine Zuflucht in der ehemaligen Prämonstratenser-Abtei Arnstein ob der Nassauer Lahn. Dort wächst heute ein neues Paradiesgärtlein heran…
Sorge bereitet den orthodoxen Nonnen – wie auch in anderen von Dionysios Kalabokas gegründeten Klöstern – allerdings ihre kirchenrechtliche Zugehörigkeit. Der Despotenbischof von Karditsa hat die Gemeinschaft mit dem Bann belegt, eine Übernahme durch das auch in Deutschland vertretene Erzbistum Dubno russischer Tradition erwies sich als kurzlebig. Es scheint jedoch in aller Stille eine neue orthodoxe Struktur mit Klöstern anstelle verweltlichter Diözesen als kirchlichen Zentren für die ihnen anvertrauten, umwohnenden Gläubigen heranzuwachsen …