Bürgerlicher Block oder linke Streu-Regierung in Athen
Für Griechenlands Hungerrentner will sich aber niemand einsetzen
Von Heinz Gstrein
Griechenland steht am Sonntag vor spannenden Neuwahlen: Die bürgerliche Regierungspartei der „Neudemokraten“ (ND) muss ihre Mehrheit gegen den extrem-sozialistischen Herausforderer „SYRIZA“ (Bündnis der radikalen Linken) verteidigen. Dieses hatte schon zuvor von 2915 bis 2019 das Kabinett Alexis Tsipras gestellt. Nach dem Rhythmus griechischer Regierungen, der meist eine der beiden großen Parteien abwechselnd aufeinander folgen lässt, wäre jetzt ND-Premier Kyriakos Mitsotakis aus einer seit den frühen 1960er Jahren führenden oder mitmischenden nationalliberalen Familie zur Ablösung fällig. Dagegen wehrt er sich aber mit vielen Mitteln: So einer erfolgreichen Strategie von Außenminister Nikos Dendias und des Ressortchefs Landesverteidigung, Nikos Panagiotopoulos, dem bedrohlichen Nachbarn Türkei gegenüber und einer abschließenden Bewältigung der Athener Staatsschuldenkrise seit 2010. Das kann aber nicht den Skandal um das Eisenbahnunglück von Tembi mit 57 Toten und zahlreichen Verletzten aufwiegen. Wie sich bei der Untersuchung herausstellte, hat die Regierung Mitsotakis wiederholte EU-Zahlungen für den Unterbau der Strecke Athen-Saloniki veruntreut. Verkehrsminister Kostas Karamanlis aus einem lang führenden konservativen Clan musste darauf zurücktreten. Die parlamentarische Noch-Mehrheit der ND stützt sich überhaupt weitgehend auf die Einbindung von nicht weniger als fünf griechischen „Patenfamilien“ und die Stimmen ihrer Klientele.
Ein schwerwiegender Grund für die während seiner Amtszeit schwindende Popularität ist die Beibehaltung der nach 2010 zur Bewältigung der Krise eingeführten „Hungerrenten.“ Verschiedene Regierungen hatten die teils hochdotierten Rentenanstalten von Berufszweigen in den Topf der staatlichen Sozialanstalt IKA geworfen. Das bedeutete für Renten von oft mehreren Tausend Euro eine Herabsetzung auf um die 400 Euro für die Minderbezahlten und von plus/minus 800 Euro als Höchstbezüge. Daran hat Kyriakos kaum etwas geändert, während er sich auf die neue Rentabilität griechischer Staatspapiere konzentrierte. Die Verarmung des Volkes geht aber weiter.
Das alles lässt für den 21. Mai eine kräftige Abwanderung von Stimmen nach links, vor allem zu SYRIZA vorhersagen. Allerdings sind zusätzliche Wähler von der 2020 verbotenen extremen Rechten „Chryssi Avghi“ (Goldene Morgenröte) zu erwarten. Die neue Rechtspartei „Griechische Lösung“ des Unternehmers Kyriakos Velopoulos wird dieses Potential nur zum Teil ausschöpfen. Mitsotakis setzt daher weiter für die ND auf eine absolute Mehrheit der Abgeordneten. Widrigenfalls will er so oft neu wählen lassen, bis er wieder Herr im Parlament ist.
Den erwarteten Stimmenzuwachs für SYRIZA drohen – von den in der Athener „Vouli“ alteingesessenen Kommunisten abgesehen – eine Reihe von Kleinparteien zu beschränken, die Alexis Tsipras den Rücken gekehrt haben. Zur Minipartei ist außerdem das einst durch zwei Jahrzehnte führende PASOK des Papandreou-Clans geworden, das jetzt nur mehr unter dem EU-Deputierten Nikos Androulakis antritt.
Der erste Finanzminister von Tsipras 2015 war Yanis Varoufakis. Nach schweren Auseinandersetzung mit Griechenlands Gläubigern ist zurückgetreten und hat europaweit die bisher – außer in Athen – erfolglose „Demokratie in Bewegung – DiEM 25“ gegründet. Trotz zündender Ideen ist ihm ein spürbarer politischer Widerhall – außer in akademischen Kreisen – versagt. Heidelberg scheint eine der wenigen A Ausnahmen zu sein…
Einzige mehr versprechende Neugründung auf der griechischen Parteiszene dürfte die „Plevsi Elevtherias“ (Kurs zur Freiheit) von Zoi Konstantopoulou werden. Die durch ihren Eklat mit dem deutschen Botschafter Peter Schoof 2017 bekannt gewordene Ex-Parlamentspräsidentin von SYRIZA hatte mit ihrer eigenen Partei bisher wenig Erfolg. Für diesmal hat sie sich jedoch die Unterstützung betuchter griechischer Reeder und namhafter Politologen wie des Prof. Alexandros Kazamias von der Universität Coventry gesichert. Alexis Tsipras zählt auch sie zu den „fortschrittlichen Köpfen“, die er im Fall einer nur relativen Mehrheit in seine Regerung einbinden will.