Heinz Gstrein Nachrichten

Vielfältiger England-Besuch von Bartholomaios I

Von einem Stück „Heiligen Russlands“ bis zum neuen König Charles III.

Von Heinz Gstrein

London/Athen/Istanbul. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat vom 21. bis 25. Oktober England besucht. Offizieller Anlass dafür war das 100jährige Bestehen des Erzbistums „Thyateira“ – nach einer der in der Johannesapokalypse angesprochenen sieben kleinasiatischen Christengemeinden – mit Zuständigkeit für die griechisch-orthodoxe Diaspora in West- und Zentraleuropa. Bis 1963 gehörten zu ihm auch die orthodoxen Griechen in Deutschland, Österreich und der Schweiz,  denen ein Auxiliarbischof in Wien vorstand.  Ebenfalls 1922 wurde vom Ökumenischen Patriarchat Konstantinopel eine analoge Struktur für die Griechisch-Orthodoxen in Nord- und Südamerika geschaffen, 1924 erhielt die australische Diaspora ihre eigene Metropolie, die 1959 ebenfalls zum Erzbistum erhoben wurde.

Die Neuorganisation der kontinentaleuropäischen Diaspora in den eigenständigen Metropolitansprengeln von Deutschland, Frankreich Österreich und später auch Skandinavien konnte die Bedeutung des Erzbistums Thyateira für die Wiederbegegnung von Orthodoxen und Anglikanern nicht beeinträchtigen: Gleich nach deren Bruch mit Rom und der Erklärung des englischen Königs zum Kirchenoberhaupt 1534 erblickte Konstantinopel in ihm eine neue westkirchliche Entsprechung zur einstigen Rolle des oströmischen Kaisers als weltlicher Schirmherr der Orthodoxie. In der Folge wurde die altkirchliche Institution der „Apokrisiare“ wiederbelebt, der ständigen Vertreter Roms beim byzantinischen Monarchen. Nur mit dem Unterschied, dass es sich fortan – und das bis heute – um kirchliche Gesandte der Anglikaner beim Ökumenischen Patriarchen und später auch in anderen orthodoxen Zentren handeln sollte. Über diese lief schon im frühen 17. Jahrhundert der Briefwechsel von Erzbischof George Abbot (1611-1633) mit Patriarch Kyrillos Lukaris während dessen dritter Amtszeit von 1623 bis 1630. Bei seinem Besuch in England verehrte er 1627 dem neugekrönten König Charles I. (bis 1649) den Codex Alexandrinus, eine der ältesten biblischen Handschriften aus dem 5. Jh.

Eine späte Gegengabe erhielten die Orthodoxen unmittelbar vor diesem Besuch von Bartholomaios I., als das „Museum of the Bible“ Anfang Oktober eine neutestamentliche Handschrift des 9. Jh. an das Patriarchalkloster der Panaghia Eikosiphoinissa beim nordgriechischen Drama zurückstellte. Von dort war es 1917 von bulgarischen Freischärlern unter Anleitung des altösterreichischen Byzantinisten Vladimir Sis geraubt und später von einem westlichen Auktionshaus zum anderen weiterverkauft worden.

Diese Kontakte entwickelten sich aber auch an der kirchlichen Basis. Griechische Studenten tauchten zunehmend in Oxford auf, 1670 wurde die erste orthodoxe Kirche in London eingeweiht, und griechische Klöster bis zum Sinai hinunter überschwemmten die anglikanische Welt mit ihren Bettelbriefen.

Diese Annäherung wurde vom Osmanischen Reich, dessen Untertanen die meisten Orthodoxen waren, teils zurückhaltend geduldet, teils streng überwacht. Die Befreiung des Ökumenischen Patriarchats mit der englisch-französisch-italienischen Besetzung Konstantinopels nach dem Ersten Weltkrieg führte zu einem sofortigen Aufleben  seiner Hinwendung zu den Anglikanern: Der spätere Patriarch Meletios. IV. (1922-1923) nahm noch als Erzbischof von Athen Verhandlungen mit dem Ziel der Einheit von Orthodoxer und Anglikanischer Kirche auf. Zu dem von ihm dann an den Bosporus einberufenen Panorthodoxen Reformkongress lud er den Ökumeniker Bischof Charles Gore ein: Er setzte ihn auf den Ehrenplatz zu seiner Rechten, von wo dieser sich eifrig an den Diskussionen beteiligte.

Als die Türken im Herbst 1922 Konstantinopel wieder in die Hand bekamen, vertrieben sie den letzten Sultan Mehmed VI. Vahieddin, doch ebenso den rührigen Patriarchen. Die ökumenischen Anliegen von Meletios IV. mussten im orthodoxen Kirchenzentrum, dem Phanar am Goldenen Horn, vorerst hinter dem Überlebenskampf des Patriarchats in der modernen Türkei in den Hintergrund treten. Umso eifriger wurden sie vom durch Meletios gegründeten Erzbistum Thyateira wahrgenommen. Dessen erster Oberhirte Germanos Strenopoulos (bis 1951) konnte schon 1928 auf der Kirchenkonferenz im Kurort Cheltenham darauf hinweisen: Von der Anerkennung der anglikanischen Weihen gleich 1922 bis zur Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1927 in Lausannne.

Wesentlich auf der Grundlage anglikanisch-orthodoxer Zusammenarbeit konnte dann 1948 in Amsterdam der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gegründet werden. Immerhin dauerte es bis 1973, ehe eine Gemeinsame Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der anglikanischen Gemeinschaft und der orthodoxen Kirche in Oxford zusammentrat.

Nach anfänglichen Fortschritten führten Neuerungen, die vor allem aus der amerikanischen Episkopalkirche in die englische Mutterkirche eindrangen, zu neuer Zurückhaltung der Orthodoxen: So wurden seit den 1980er Jahren zunehmend auch Frauen zum Priester- und sogar Bischofsamt zugelassen. Seit der Jahrtausendwende hat sich auch die Einstellung zur Homosexualität geändert: Mit Riten für die Segnung und sogar kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare und mit der Zulassung Homosexueller zu allen kirchlichen Ämtern. Die Wahl der deklarierten Lesbe Mary Douglas Glasspool zur Bischöfin der anglikanischen Episkopalkirche in Los Angeles wurde für die Orthodoxen besonders provokant.

Der Dialog mit den Anglikanern kam jedoch damit nicht – wie Richtung Alt-Katholiken – zum Erliegen. Er wurde mit unverfänglichen Themen weitergeführt. Nach zuletzt wieder dreijähriger Unterbrechung begann eine neue Session der Gemeinsamen Kommission am 8. Oktober in Athen. Zur Frage der Euthanasie bestanden keine Meinungsverschiedenheiten, so dass dazu ein gemeinsames „agreed paper“ verabschiedet werden konnte.

Das war natürlich eine gute Voraussetzung für den Erfolg dieses Besuches von Bartholomaios in England, der natürlich nicht nur seiner Teilnahme am Jubiläum der Erzdiözese Thyateira, sondern ebenso der Anglikanischen Kirche galt.

Vor dieser suchte der Ökumenische Patriarch jedoch das Kloster zum hl. Johannes in Essex auf, wo die Spiritualität des „Heiligen Russland“ erhalten geblieben ist. Es handelt sich um eine Gründung des russischen Athos-Mönchs Sophronij Sacharow, der dorthin die mystische Theologie seines Lehrers Starez Siluan aus dem athonitischen Panteleimonskloster verpflanzte. 1965 wechselte seine Kommunität vom Moskauer zum Konstantinopler Patriarchat. Vor allem nach der russischen Wende und ihrem unverhofften Ausufern in den militanten „Nationalorthodoxismus“ der Putin-Ära blieb das Johannes-Kloster einer der wenigen Orte, wo das „andere Russland“ mit seiner Weltflucht und tiefen Frömmigkeit zukunftsweisend weiterlebt.

Von dort wandte sich Batholomaios I. erneut in Interviews mit dem katholischen US-Magazin „The Pillar“ und der Athener Abendzeitung „Ta Nea“ gegen die Gefügigkeit des russischen Patriarchen Kyrill mit seinen regelrechten Segnungen für Putins Ukrainekrieg. Darüber vergaß er die Ökumene nicht: „Dialog und Versöhnung sind für uns unaufgebbar!“.

Am folgenden Sonntag konzelebrierte der Ökumenische Patriarch in der orthodoxen Londoner Sophienkathedrale den Festgottesdienst zum hundertjährigen Bestehen des Erzbistums von Thyateira. Von jenen Orthodoxen, die sich im kirchlichen Konflikt um die Ukraine neutral verhalten, nahm nur der georgische Erzbischof der Ausgrabungsstadt Dmanisi daran teil: Zenon Imeda Iaradzuli. Er ist seit 2010 auch für die britische Diaspora seiner Kirche zuständig. Er und Bartholomaios kennen sich seit 2017, als Iaradzuli den Patriarchen in Istanbul aufgesucht und über die schwierige Lage der Georgier im sic anbahnenden Ukrainekonflikt informiert hatte.

Eigentlicher Höhepunkt des Englandbesuchs von Bartholomaios I. wurde dann am Sonntag Nachmittag seine Teilnahme an einer anglikanischen Vesper in der St.-James-Church von Sussex Garden. Dem „Evensong“ zu Ehren des Patriarchen stand dessen derzeitiger Apokrisiar in London vor, Bischof Jonathan Baker von Fulham. In St. James zeigte sich die Herzlichkeit der orthodox-anglikanischen Annäherung, die in der Praxis nicht unter Frauen- und Homosexuellen-Ordination gelitten zu haben scheint.

Eher enttäuschend verlief zum Abschluss am 25. Oktober die Bartholomaios I. vom neuen britischen König Charles III. gewährte Audienz. Im Unterschied zu seinem Vater Prinzgemahl Philipp ist er kaum dem Ökumenischen Patriarchat, umso mehr jedoch dem Athos-Kloster Vatopedi verbunden, das zu Konstantinopel Distanz hält. So empfing Charles III. den Patriarchen deutlich reserviert mit den Armen auf dem Rücken und ließ ihn die meiste Zeit aufrecht vor sich stehen. Kein gemeinsames Kommunique wurde verlautbart. Nach der Rückkehr auf seine Heimatinsel Imbros bemerkte Bartholomaios bitter: Mein Inselchen ist „wertvoller als der Palast von Buckingham“ und „allen Palästen vorzuziehen!“

 

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