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Erzbischof Gruschas am Goldenen Horn – Brisanter Kontakt von Bartholomaios

Von Heinz Gstrein

Phanar. Parallel zu der Anfang Juni in Alexandria versammelten Dialog-Kommission zwischen der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche hat der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. im Phanar von Istanbul eine Abordnung von Historikern und Theologen der Bulgarischen Orthodoxen Kirche empfangen. Diese hat sich nach anfänglicher Teilnahme am Dialog 1980 später ebenso wie aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und der Konferenz Europäischer Kirchen zurückgezogen. Unter Führung des Kirchenhistorikers Prof. Shtelian D. Shterionov ließ sich die Abordnung von Bartholomaios über den neuesten Stand des vom Bulgarischen Patriarchat verlassenen Dialogs informieren. Der Ökumenische Patriarch gab ihnen heim nach Sofia seinen Wunsch mit, die bulgarische Orthodoxie möge sich nicht länger selbst von dem ökumenischen Aufbruch im Dialog ausschließen.

Wichtigster Gast im Phanar beim ostkirchlichen Pfingstfest am 4./5. Juni war der Präsident des Rats der europäischen Bischofskonferenzen, Erzbischof Gintaras Gruschas von Vilnius. Bartholomaios dankte ihm für die brüderliche Aufnahme und verständnisvolle Unterstützung während seines Besuchs vom März in Litauen bei dessen seit dem 18. Jahrhundert der russischen Staatskirche einverleibten Geistlichen und Gläubigen des Ökumenischen Patriarchats sich heute eine Rückkehrbewegung zu Konstantinopel ausbreitet. Bartholomaios hatte schon damals in Vilnius davon gesprochen, dass der Klerus und die orthodoxen Christen von Litauen „die Schaffung einer eigenen Struktur verlangen“.

Es handle sich nach den Worten des Ökumenischen Patriarchen in Vilnius um eine „historische Gerechtigkeit“: Litauen, das seit dem 13. Jahrhundert auch das heutige Weißrussland sowie die Westukraine umfasste, stand viel länger unter der Jurisdiktion von Konstantinopel als die zentrale und östliche Ukraine. Nach Herauslösung der ukrainischen orthodoxen Kirche aus der kirchlichen Vorherrschaft Moskaus und ihrer Autokephalie 2018/19 ist es jetzt ein verständliches Vorgehen des Phanar, diesen Prozess auch in Litauen durchzuziehen.

In seiner Begrüßungsansprache für Gintaras Gruschas in der griechisch-orthodoxen Dreifaltigkeitskirche von Istanbul sprach Bartholomaios jetzt sogar von einem Konstantinopler Exarchat Litauen. Dieses ist allerdings noch in Schwebe, so dass die Mithilfe des Erzbischofs von Vilnius weiter erbeten ist. Der US-Exillitauer Gruschas, der in den Staaten zum Informatiker ausgebildet wurde, ehe er lang nach der Wende als litauischer Militärbischof in der Heimat auftauchte, ist nach Ansicht des Phanars einer der führenden, wenn nicht der tonangebende westliche Kirchenstratege in Osteuropa. Seine Hilfe dürfte für eine Wiederherstellung der Konstantinopler Strukturen in Litauen – aber auch Belarus – unumgänglich sein.

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