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Afghanistan unter der Burka. Doch Widerstand seiner Frauen nicht gebrochen!

 

Von Heinz Gstrein

In Afghanistan ist in der letzten Maiwoche der noch einzige Freiraum unverhüllter Frauen bei den letzten privaten TV-Kanälen gefallen: Auch ihre Sprecherinnen müssen unter die Burka.  Entgegen anfänglichen Versprechen hat das Taliban-Regime so alle Afghaninnen lückenlos zugeschleiert. Für die Ultramuslime von Kabul sind Frauen eben nichts als „Haustiere“, wie das Monisa Mobariz formuliert, in Kabul eine der letzten weiblichen Aktivistinnen, die so etwa noch laut zu sagen wagen.

Kollegen der Neuverhüllten bei den 2010 als westlichem Militärsender gegründeten TOLOnews haben sofort mutige Solidarität bewiesen: Sie zogen ebenfalls eine Burka über und zeigten sich so am Bildschirm. Im Staatsfernsehen war nicht einmal diese Art Protest möglich. Die Taliban bereiten jetzt eine Schließung der Privatsender vor, die zwar ihr weibliches Personal verdecken mussten, diesen Befehl von oben aber in ihren Programmen weiter diskutieren und kritisieren.

Der Rückschritt zum mobilen Harem der Burka aus der ersten islamistischen Machtperiode in Afghanistan nach 1996 war nur mehr eine Frage der Zeit, seit die Taliban ihr Ministerium „Zur Förderung der Tugend und Verhütung des Lasters“ an die Stelle des Frauen-Ressorts der zwanzigjährigen westlichen Besatzungsära bis 2021 gesetzt hatten. Die Ganz-Körper-Burkas von Kopf bis Fuß mit ihrem Stoffgitter vor dem Gesicht bieten von außen einen bunten, ja farbenprächtigen Anblick. Im Unterschied zu den tristen schwarzen Verhüllungen weiblicher Wesen in der sonstigen islamischen Welt – nur in Libyen gab man der weißen Farbe den Vorzug – beleben jetzt vielfärbige Burkas das monotone Straßenbild im Taleban-Emirat. Eine blaue Burka – das ist die teuerste Färbung – und Stickereien verkünden eine wohlhabende Trägerin.

Drinnen unter der Burka ist es jedoch für jede Afghanin gleich dunkel und stickig. Wie auch im ganzen Land obskurante Finsternis und eine Unterdrückung hereingebrochen sind, die niemand mehr frei atmen lassen. Mädchen wurde nach gegenteiligen Versprechungen der Besuch höherer Schulen verboten, wie das einst die Nationalsozialisten mit den jungen Polinnen und Polen gemacht hatten. Wie sich unter Hitler noch überlebende Juden auf keine Parkbank setzen durften, sind jetzt die Afghaninnen die meiste Zeit aus öffentlichen Anlagen verbannt.

Taliban-Herrscher Hibatullah Achundzada spricht in seinem Burka-Erlass zwar von einem Mittel, die soziale Gleichheit aller Frauen sichtbar zu machen. Doch geht es ihm angesichts der ausufernden Hungersnot – schon 20 Millionen Menschen sind bald dem Tod geweiht – auch darum, die ausgemergelten weiblichen Körper zu verstecken. Der Hunger wegen Dürre, Überschwemmungen, doch vor allem der Unfähigkeit  des doktrinären Regimes, ordentlich zu wirtschaften, trifft vor allem Frauen und Kinder, da sich die Männer gerade in diesem übermaskulinen System weiter die größten Bissen zu sichern wissen.

Die Führung der Taliban gibt dem wenig beschwerlichen Anbau von Schlafmohn und seiner gewinnreichen Drogenverarbeitung den Vorzug vor Getreide- und Reisfeldern, Gemüse- und Obstgärten. Ihr neues Emirat seit der Machtergreifung im August 2021hat schon an die 7.000 t Opium produziert. Ihm stehen fast ebenso große Nutzungsflächen wie dem ersten Taliban-Staat von 1996 bis 2001 zur Verfügung: !83.000 ha. Davon konnte die westliche Administration während ihrer 20jährigen Präsenz nur 406 ha vernichten! Ohne Nahrungsmittel- und Finanzhilfe vom Ausland vermochte auch das „demokratische“ Afghanistan nicht zu überleben!

Doch nach Wiederkehr der Taliban sehen sich auch große Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Caritas Internationalis oder Welthungerhilfe mit massiven Hürden konfrontiert. Fast alle mussten schon ihre ausländischen Mitarbeiter aus dem „Emirat“ abziehen. Das darf aber kein Grund sein, Afghanistans Menschen im Stich zu lassen. Schon lang wird mit den Taliban über die Rückkehr der Experten und ein neues Hilfsprogramm verhandelt. Es soll sicherstellen, dass die lebensnotwendigen Güter ihre Bestimmung erreichen und nicht Straßenräubern oder auch Taliban-Kämpfern in die Hände fallen.

Ein weiteres Problem, an dem die Afghanistan-Hilfe aber nicht scheitern darf, ist der Zusammenbruch des Bankwesens im ganzen Land. Daher müssen laufend ganze Flugzeugladungen von grünen „Afghanis“ (0,01 Euro) herangeschafft werden, um Projekte vor Ort zu finanzieren und die lokalen Mitarbeiter zu bezahlen. So schwierig ist das Helfen am Hindukusch geworden. Die laut gewordene Kritik daran wird ihm aber nicht gerecht: Hungerhilfe und medizinische Betreuung kommen den unmittelbar Bedürftigen und nicht den Taliban zugute – obwohl diese versuchen, sich ein möglichst großes Stück davon abzuschneiden…

Abgesehen von den Versorgungproblemen wagen seit Mai immer wieder – sei es in Großstädten wie Kabul und Herat oder dem abgelegenen Bamiyan – beherzte Frauen Protestmärsche gegen die radikalislamische Unterdrückung. An der Spitze einer tapferen Schar stand Saira Sama Alimyar, Mitbegründerin der bis zum Abzug von Amerikanern und NATO-Truppen einflußreichen „Junbish-e-Zanan Muqtadir“, was im afghanischen Persisch „Miliz der mächtigen Frauen“ bedeutet. Von ihrer Macht ist wenig übriggeblieben, wie sich bei Niederschlagung der Kundgebung durch von dieser sichtlich zunächst überraschte schwer bewaffnete Taliban zeigte.

Vertrauliche, doch zuverlässig erscheinende letzte Informationen aus Afghanistan deuten jedoch darauf hin, dass die Widerstandskraft der Frauen auch unter der Burka und in Kerkerhaft nicht gebrochen ist. So korrupt die kurzlebige Demokratie in Kabul von Washingtons Gnaden auch war: Den Frauen hat sie in Sachen familiärer und gesellschaftlicher Rechte, von Ausbildung, Bildung und Gesundheitsfürsorge echte Fortschritte gebracht. Das wird jetzt nicht vergessen, die Taliban können das Rad der Frauenemanzipation mit aller Gewalt nicht mehr zurückdrehen. Das umso mehr, als sich im heroischen Pandschir-Tal Ende Mai erster bewaffneter Widerstand regt, der auch die Frauenrechte auf seine Fahnen geschrieben hat.